Ursula Bell-Köhler
Mein lieber Christopher,
es ist ein schöner Sommerabend und eigentlich fände das 2. Hauptereignis der Stadt Mainz, die Johannisnacht statt. Nun schließt Corona solche Großveranstaltungen aus. Die Spargelsaison endet traditionell an Johannis, dem 24. Juni und es war Spargelzeit vor 17 Jahren.
Wir hatten einen Gast, einen ehemaligen VDAC Stipendiaten aus der UT in Austin, Cody Moody, und genossen mit ihm den Nachmittag auf der Terrasse im Mühlweg. Cody, der eigentlich mit Dir über Wohnmöglichkeiten im Münchfeld sprechen sollte meinte, sag mal, sollte er nicht längst hier sein? Schau doch mal ob eine E-Mail da ist. Und so war as: Hello everybody, I have missed my flight and hope to come on a standby flight Ryan Air to Hahn. Als ich vorsichtig am Flughafen anfragte, ob Du denn in der nächsten Maschine Platz bekämest wand man sich schon damals etwas wie Datenschutz, meinte aber es sei auch mit viel Rückreisestau an Pfingstmontag auf der Hunsrück-Höhenstraße zu rechnen. Will, der normalerweise bereitwillig unsere Studenten abholte, auch am frühen Morgen in Frankfurt reagierte mit: Ich hol doch nicht dauernd deine Studenten ab, bin doch kein Chauffeur, na dann zeig mir mal die Akte, das Bild. Und so fuhr er abends zum Bahnhof, wo die Hahn Busse ankamen, Anruf Will: Der Bus ist nicht da – na und? Dann der nächste Anruf: Ich hab ihn, aber der Pass ist weg. Natürlich war die zuständige Fundstelle nicht an einem Feiertag noch dazu abends zu erreichen. Also warten wir ab. Cody musste den Zug nach Darmstadt nehmen und Ihr konntet Euch nur kurz begrüßen.
Du stiegst aus Will’s Auto sagtest, ach bitte sagen Sie doch Du zu mir und es war bei mir Liebe auf den ersten Blick. Es gab ein spätes Spargelessen für Dich auf der Terrasse und wir besprachen den nächsten Tag, da Du einen Termin beim Rektor der Hochschule für Musik der Uni Mainz unten am Binger Schlag hattest, wir aber vorher ins Kundencenter wegen Deinem Pass mussten. Nach dem Frühstück sind wir mit der Straßenbahn, damals noch die 8, jetzt die 52 zum Bahnhof und im Kundencenter gab man Dir den Pass und mit merkwürdigem Gesicht und spitzen Fingern – eine Geldbörse mit 450,00 DM. Ich hatte den Eindruck die Frau meinte es sei gestohlen, aber Dein Vater hatte Dir das Geld mitgegeben, da es inzwischen den Euro gab. So sind wir also in die Hegelstraße zur Bundesbank und haben DM in Euro getauscht. Und natürlich hattest Du auch die Besprechung mit Professor Blume. Du wolltest dann zu Freunden in die Trierer Gegend, später zurück nach London ans RCM.
Eine nette Karte habe ich gerade in Deiner Akte gefunden mit einem Garfield Bild, Thank you for all you do. Es kam der Spätsommer, zu meiner Enttäuschung bekamst Du keinen Platz im Wohnheim Rhein-Main in der Meielache und so fragte ich bei der Evangelischen Kirche, Jochen-Klepper-Haus, direkt an der Uni an und es wurde genehmigt.
Am Tag als Du 20 wurdest kamst Du für das akademische Jahr 2003/04 nach Mainz. Wir holten Dich am Bahnhof ab und brachten Dich in Dein neues Zuhause wo Mitbewohner Dich bereits erwarteten. Einen Geburtstagkuchen und das ‚survival Kit‘ hatte ich zusammengestellt, Brot, Milch, Eier, Butter, Müsli, Joghurt, Tee und selbst gemachte Marmelade. Der Uni-Alltag in Deutschland ist natürlich gänzlich anders als in den USA, aber meine Aufgabe als Local Chairperson war und ist es noch immer für einen reibungslosen Einstieg und Hilfe bei der Bürokratie zu sorgen. Bei Dir gab es kaum Schwierigkeiten, da Du komplett zweisprachig warst.
Du studiertest Musik und Musikwissenschaft und warst für 1 Semester Gasthörer an der Musikhochschule in Frankfurt bei Professor Rajski (Operndirigieren).
Im Frühjahr 2004 feierte der deutsch-amerikanische Club Mainz sein 50-jähriges Jubiläum und Du brachtest Moira als Gast mit. Manchmal kamen Sonja Olson und Du zum Stammtisch aber natürlich immer als gern willkommene Gäste zu uns in den Mühlweg.
Nach Deiner Rückkehr in die USA zum Abschluss Deines Senior Years hattest Du eine Riesenaufgabe als Abschlussarbeit übernommen eine Mozartoper aufzuführen, dazu das Fundraising zu stemmen und Du warst maßlos enttäuscht über den Ausgang der Wahl am 3.November 2004, allerdings hatte NH nicht zu dem Ergebnis beigetrage und Du wolltest lieber nach Canada auswandern bis 2008.
Es kam dann gänzlich anders, denn Dein Antrag um eine DAAD Stipendium zum Studium in Weimar war erfolgreich und wir freuten uns auf Dich, im Winter hatten wir Dich kurz zu einem Mittagessen im HDW getroffen. Zum Orientierungsseminar für die neuen Amerikaner brachten Dich Deine Eltern in die Jugendherberge International in Berlin und am Sonntag nahmen wir an einer Führung in der Staatsoper Unter den Linden teil, die damals renoviert wurde.
Im Frühjahr 2006 besuchten wir Dich in Weimar und erlebten zusammen im Nationaltheater die Aufführung ‚Die Räuber‘ und am Tag darauf IDOMENEO und ehe wir sonntags zurückfuhren spazierten wir beide im Schlosspark Belvedere.
Du brachtest nach Mainz gerne Freunde mit und so kam Sindre mit. Will spürte sofort, dass es mehr als Freundschaft war. Auch Deine Geschwister kamen bis auf Samuel mit zu Besuch. Zwischendurch und manchmal last minute besuchten wir in Wiesbaden Opernaufführungen. Wir fuhren bei Schneefall zur Emmerich-Smola Gesangsauswahl nach Landau und mussten am frühen Morgen erst mal den Schnee wegschaufeln, damit das Auto in unsere Einfahrt gestellt werden konnte. Ich kam zur Aufführung von Staat-Mater nach Berlin und am nächsten Abend waren wir am Hertasee/Grunewald im Restaurant des St. Michaels Heim zum Abendessen.
2007 am 1. und 2. Juni feierte der VDAC das 60-jährige Bestehen und das 50-jährige Bestehen des Studentenaustauschs und ich hatte auch einen runden Geburtstag. Zum Festakt am 2. Juni umrahmten Caroline Wittig und Du im Prinz-Carl.-Palais den Festakt und Du übereichtest mir eine große Glasvase mit Sonnenblumen zum Geburtstag.
Für Dein Konzert am 29.09 2007 wies Will mich darauf hin, dass ich Dir versprochen hätte zum Konzert nach Tübingen zu kommen und so fuhr ich los, wurde von Moira und Sindre am Bahnhof abgeholt und in die Jugendherberge gebracht wo ich gegen alle Regeln ein Zimmer erhalten hatte. Es war ein wunderbarer Abend mit anschließender Feier bis in den frühen Morgen zu Deinem Geburtstag, ein Frühstück im Café direkt an der Neckarbrücke.
Als Du mich batest Deine Bewerbung für die Bayerische Staatsoper zu prüfen ging ich damit zu Will und er kam dann mit folgendem Rat: Wir wissen ja beide, dass unser Junge ausgezeichnete Kenntnisse in verschiedenen europäischen Sprachen besitzt, aber er soll das mal herunterspielen und schreiben sehr gut und es der Bayerischen Staatsoper überlassen sich zu überzeugen.
Und natürlich erhieltest Du die Position als maestro suggeritore wurdest zum Neujahrsempfang in die Bayerische Landesvertretung nach Berlin eingeladen.
Als ich diesen überraschenden Umschlag aus dem Bundespräsidialamt erhielt rief ich Dich am nächsten Tag an, damit Du das Wochenende 3./4. Oktober terminlich einplanen konntest. So begleiteten mich die drei wichtigsten Männer nach Berlin ins Schloss Bellevue zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes. Liebevoll hast Du dies in einem Artikel für die Gazette Nr. 3 2012 berichtet.
Für Dich haben sich viele Träume erfüllt auf welche Du Dich in dem Artikel beziehst. Aber die Träume sind jäh zerstoben, Du bist nicht mehr da. In der Weihnachtskarte schriebt Ihr wir sehen uns in Norwegen, London und Mainz, planten zur Graduation auf dem Weg nach London in Paris ein Mittagessen. Und ich war gespannt Euch die neue Wohnung zu zeigen. Mein graues englisches Geschirr habe ich Dir testamentarisch vermacht, ebenso wie einen Teil der Kochbücher.
Jetzt sind die drei wichtigen Männer in meinem Leben, Will, mein Bruder Rudi und Du unendlich weit weg.
Vielleicht kannst Du im Himmel Deinen Dirigentenstab einsetzen und mit einem Engelorchester spielen, Mozart oder Bach, evtl. Purcell, den Will mochte.
Danke für die schönen Jahre, Will und ich waren stolze Eltern und haben Deinen Werdegang immer mit Aufmerksamkeit verfolgt.
Ursula
Am 25.Juni 2020